Herbert Quandt-Stiftung
1. Historie
Die Altana AG gründete im November 1980 die Herbert Quandt-Stiftung, anlässlich seines 70. Geburtstags und „zum Dank für die langjährige Führung ihrer zusammengeschlossenen Unternehmen“ (siehe Stiftungs-Homepage). Die Altana AG ist ein deutscher Chemiekonzern mit Sitz in Wesel, der 1977 durch die Ausgliederung von Unternehmensbereichen aus dem VARTA-Konzern entstand. Herbert Quandt war der erste Vorstandsvorsitzende.
Die Herbert Quandt-Stiftung hat ihren Sitz in Bad Homburg und eine weitere Repräsentanz in Berlin.
Wenn man sich mit der Herbert Quandt-Stiftung und ihrer Entstehung beschäftigt, liegt es nahe erst einmal einen Blick auf Familie Quandt und ihre Geschichte zu werfen. Denn wir haben es hier mit einer der reichsten und mächtigsten deutschen Industriellenfamilien zu tun.
Familie Quandt
Familie Quandt war seit ca. 1700 im brandenburgischen Pritzwalk angesiedelt und bereits im 18. Jahrhundert sehr erfolgreich im Tuchgewerbe tätig. Der Tuchfabrikant Emil Quandt (1849-1925) wusste schon damals die politische Situation zu nutzen und bereicherte sich vor und während des ersten Weltkriegs durch die Produktion von Armeeuniformen. Der zusätzliche Eintritt in die Rüstungsindustrie ließ die Familie endgültig in die Liga der deutschen Oligarchen aufsteigen.
Emils Sohn Günther Quandt (1881-1954), der in den Fabriken seines Vaters gelernt hatte und schon bald leitende Positionen in mehreren Tuchfabriken einnahm, verstand es ebenfalls sehr gut darin, das wirtschaftlich Beste aus der politischen Lage seiner Zeit herauszuholen. Schon die Heirat seiner Ex-Frau Magda mit dem späteren Propagandaminister Joseph Goebbels brachte ihm gute Kontakte zur Elite der Nationalsozialisten. Am Rande bemerkt: Diese Hochzeit fand 1931 auf dem Gut der Quandts statt, inklusive Adolf Hitler als Trauzeuge höchstpersönlich.
Günther Quandt nutzte das Netzwerk offenbar skrupellos zur Expansion seiner Unternehmen. Er selbst trat 1933 nach deren Sieg in die NSDAP ein und unterstützte sie mir einer großen Spende. Mit Beginn des Krieges fing der Reibach jedoch erst so richtig an. Als Großhersteller von Batterien waren die Quandts entscheidende Figuren für die Rüstungs- und Kriegswirtschaft des NS-Systems. Die Akkumulatoren AG (Afa AG, seit 1962 unter dem Namen VARTA) verschaffte unter anderem U-Booten und Raketen Antrieb, die Textilbetriebe stellten Decken und Uniformen her und andere Quandtsche Unternehmen lieferten Waffen und Munition. Adolf Hitler würdigte Günther Quandt 1937 als „Wehrwirtschaftsführer“.
Das wohl Furchtbarste an der Vergangenheit der Quandts ist aktuell besonders durch die ARD-Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ (gesendet am 22. November 2007) ins öffentliche Gespräch gekommen: die Ausbeutung von Zwangsarbeitern im zweiten Weltkrieg. Das ist kein Opportunismus mehr, sondern ein Verbrechen. Familie Quandt beschäftigte in ihrer Afa AG in Hannover-Stöcken insgesamt rund 1500 Zwangsarbeiter, Häftlinge, die aus dem KZ Neuengamme bei Hamburg in die Afa-Produktion geschickt wurden. Anders gesagt: Die Quandts unterhielten unter Aufsicht der SS ein eigenes Konzentrationslager für die angrenzende Batteriefabrik.
Es gab dort weder Schutzanzüge noch Atemschutz. Die Zwangsarbeiter waren den gefährlichen Chemikalien schutzlos ausgesetzt, die Lebenserwartung entsprechend gering, Hunderte starben an den Folgen. Außerdem berichten Zeitzeugen von Schlägen und dass Juden hier schon den gelben Stern tragen mussten, als dieser reichsweit noch nicht einmal vorgeschrieben war. Ein Facharbeiter kostete 6 und ein Hilfsarbeiter 4 Reichsmark am Tag – direkt bezahlt an die SS.
Diese entsetzlichen Methoden haben sich jedoch scheinbar rentiert. Und das Geld ließ sich sogar retten, trotz der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, in denen sich die Familie Quandt nicht verantworten musste. Während andere Industrielle nach dem Krieg verurteilt und enteignet wurden, wurde Günther Quandt nur als Mitläufer eingestuft und das Vermögen blieb im Familienbesitz.
Schon wenige Wochen nach der Kapitulation im Mai 1945 bekam Quandts Afa AG eine der ersten Betriebsgenehmigungen der britischen Besatzungsmacht. Also gelang es den Quandts sogar, sich im Zuge des Wirtschaftswunders mithilfe ihres durch die Kriegswirren geretteten Vermögens wieder eine Führungsrolle in der Nachkriegswirtschaft zu erarbeiten.
Welche Rolle spielte nun Herbert Quandt (1910-1982) bei dieser Verstrickung in das NS-System? Er trat 1940 in die NSDAP ein und stand unternehmerisch stets an der Seite seines Vaters Günther. Herbert Quandt war während der NS-Zeit im Vorstand der Afa AG und unter anderem als Leiter der Personalabteilung eindeutig mitverantwortlich und schuldig an der Ausnutzung von Zwangsarbeitern.
Bemerkenswert ist die Version desgleichen Sachverhalts, die auf der Homepage der Herbert Quandt-Stiftung dazu fällt: „Nach einer umfassenden Ausbildung an den Standorten familiennaher Unternehmen im In- und Ausland tritt Herbert Quandt 1940 in den Vorstand der AFA - der späteren Varta AG - ein. Er übernimmt schnell immer mehr Verantwortung für die Unternehmen, die sein Vater zusammengeführt hat. Nach dem Krieg widmet er sich mit großer Tatkraft dem Wiederaufbau: Er erneuert die internationalen geschäftlichen Beziehungen und entwickelt die Idee partnerschaftlicher unternehmerischer Verantwortung.“
Herberts Halbbruder Harald Quandt (1921-1967) ist der Sohn Günther Quandts aus der Ehe mit seiner ersten Frau Magda (geb. Ritschel). Nach der Scheidung seiner Eltern lebte er bei seiner Mutter und ab 1931 dann im Hause Goebbels, mit seinen weiteren sechs Halbgeschwistern. Nachdem der Propagandaminister 1945 mitsamt seiner Frau Magda und seinen sechs Kindern dem Führer in den Tod folgte, war Harald der einzige, der den gemeinsamen Selbstmord im Führerbunker überlebte, weil er als Offizier in den Krieg gezogen war.
Nach Günther Quandts Tod wurden Herbert und Harald zu seinen Nachfolgern und das millionenschwere Kapital der Quandt-Holding ging zu je 50% an seine Söhne. Außerdem hatte Günther seine Söhne zu leitenden Positionen in den von ihm kontrollierten Betrieben gebracht.
Herbert und Harald Quandt übernahmen 1959 die damals Not leidenden BMW-Werke und retteten sie vor einer Übernahme durch Daimler-Benz. Dieser Weltkonzern wurde also auch teilweise durch das im zweiten Weltkrieg verbrecherisch erwirtschaftete Geld finanziert.
Extrem reich – extrem privat
Man weiß so gut wie nichts über die Familie Quandt. Zu den hundert reichsten Deutschen zählen heute allein acht Mitglieder dieser Familie. Die Quandts scheuen die Öffentlichkeit und halten ihre Archive unter Verschluss. Es gibt so gut wie keine Bilder von oder Interviews mit ihnen.
Familie Quandt hält heute fast die Hälfte (46,6%) von BMW und bringt es insgesamt auf ein Vermögen von etwa 20 Milliarden Euro. Seit dem Tod Herbert Quandts 1982 stehen heute seine Witwe, die dritte Ehefrau Johanna Quandt und ihre jüngsten Kinder Susanne Klatten und Stefan Quandt im Mittelpunkt der Familiengeschäfte.
Johanna Quandt (geb. 1926) hat ein Vermögen von ca. 5,4 Milliarden Euro und ist die zehntreichste Frau der Welt.
Susanne Klatten (geb. 1962) ist die reichste Frau Deutschlands. Mit ihrem Vermögen von ca. 8,7 Milliarden Euro bringt sie es auf Platz vier der reichsten Deutschen und weltweit auf Platz acht der reichsten Frauen. Sie erbte von ihrem Vater rund 12,5% Anteile an BMW und 50% an der Altana AG. Sie ist seit 1990 mit dem Ingenieur Jan Klatten verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Bad Homburg.
Stefan Quandt (geb. 1966), Wirtschaftsingenieur, bringt es mit seinem Vermögen von ca. 6,7 Milliarden Euro auf Platz 11 der reichsten Deutschen.
Der Titel der bereits genannten kritischen ARD-Dokumentation bringt es auf den Punkt: „Das Schweigen der Quandts“. Seit mehreren Generationen verbirgt die Quandt-Dynastie sorgsam die Geschichte und die Herkunft von Teilen ihres Vermögens. Susanne Klatten hat bisher nur ein einziges Interview gegeben - an den Quandt-Biographen Rüdiger Jungbluth.
Diese Schweigsamkeit und Unsichtbarkeit ist ganz typisch für extrem Reiche, wie die Quandts es sind. Sie wickeln ihre Geschäfte äußerst diskret ab. Sie gehören zu der ökonomischen Elite Deutschlands, mit denen sich lange Zeit niemand beschäftigt hat, auch nicht in der Soziologie. „Es gibt in der Bundesrepublik zwischen Mainstream-Soziologie und herrschender Klasse einen Nichtangriffspakt. Das ist absurd, aber so ist es.“ (Krysmanski, H.J., im Interview, Junge Welt, 17.11.2007)
Umso mehr Aufsehen erregte die Ausstrahlung der Dokumentation, für die die Autoren Barbara Siebert und Erich Friedler fünf Jahre gründlich recherchiert hatten. Sie wurde überraschend zu einem verdeckten Sendetermin gezeigt, nachdem sie kurz zuvor bei den Hamburger Filmfestspielen ihre Premiere hatte.
Der Film zeigte anscheinend auch bei den Familienmitgliedern Quandt seine Wirkung. Man habe nun eigens einen Historiker zu Erforschung der Familiengeschichte beschäftigt. Die Presse reagiert jedoch eher skeptisch auf dieses ehrenhafte Vorhaben und fürchtet, es werde wohl nur die Fortsetzung des Schweigens mit anderen Mitteln.
Eine Entschuldigung bei den Opfern seitens der Familie bleibt bis heute aus.
2. Finanzierung der Stiftung
Große Teile des Stiftungsvermögens von insgesamt ca. 40 Millionen Euro stammen aus dem Privatvermögen der Familie Quandt. Nach eigenen Angaben der Herbert Quandt-Stiftung spendete Susanne Klatten mit ihrer Holding Gesellschaft Skion GmbH im Herbst 2007 zuletzt 15 Millionen Euro. Damit könne die Stiftung jährlich rund 1,3 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Kultur ausgeben.
Es fällt auf, dass die großzügige Spenderin Susanne Klatten gleichzeitig auch Vorsitzende des Stiftungsrates ist. Durch die Neufassung der Stiftungssatzung ist es ihr möglich, sich gleichzeitig als Zustifterin und Vorsitzende des Stiftungsrates aktiv für die Anliegen und strategischen Ziele der Stiftung einzusetzen. Weiterhin kann Frau Klatten dem Stiftungsrat lebenslang als Vorsitzende angehören und dieses Recht sogar auf Familienmitglieder übertragen.
3. Wie/Wofür wird das Geld eingesetzt?
Die Stiftungsarbeit ist offiziell in zwei Themenfelder unterteilt. Im Bereich „Gesellschaft & Politik“ fragt die Stiftung nach Zustand und Zukunft der gesellschaftlichen Mitte Deutschlands. Ziel ist es, der Politik Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Trägerschichten des Gemeinwesens zu präsentieren. Das selbst benannte „Flaggschiff der Stiftung“ sind die „Sinclair-Haus-Gespräche“. Hier werden in einem kleinen und geschlossenen Kreis von maximal 25 Personen große gesellschaftliche und politische Zukunftsfragen diskutiert. Man lädt dazu internationale Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik und den Kirchen. Hier einige Gäste früherer Sinclair-Haus-Gespräche: Paul Kennedy, Helmut Kohl, Kardinal Lehmann, Roman Herzog, Otto Schily,…
Innerhalb des zweiten Themenfeldes, dem „Trialog der Kulturen“, fördert die Stiftung Ideen und Initiativen zugunsten des Potentials der Verständigung zwischen Islam, Judentum und Christentum in Deutschland. Die finanziellen Mittel werden hier für Schulwettbewerbe (vorrangig in Hessen und Berlin) und ein Stipendienprogramm für Nachwuchsjournalisten ausgegeben. Zudem fördert die Stiftung Nachwuchswissenschaftler aus Osteuropa an den Universitäten Dresden und Konstanz. Sichtweisen und Erfahrungen aus den östlichen Nachbarstaaten in der EU sollen so für hiesige Themen fruchtbar gemacht werden.
Interessant sind einige Reaktionen auf die Schulprojekte, die die Stiftung seit 2005 im Rahmen des Trialogs der Kulturen finanziert. Bei Schülern und Lehrern kommt teilweise erhebliche Kritik auf, wenn die NS-Vergangenheit der Familie Quandt bekannt wird. Der Vorwurf lautet, die Familie missbrauche die Schulen (mittels der Stiftung) für eine Verbesserung des Firmenimages, indem sie sich mit sozialem Engagement und Verantwortung rühmen. Schulen erhalten 3500 Euro für die Teilnahme an dem Trialog-Projekt und es werden Preise im Wert von 75000 Euro vergeben. Unter den kritischen Äußerungen gibt es sogar einzelne Aufforderungen von Schülern, das Projektgeld symbolisch für einen Zwangsarbeiterfond bereitzustellen.
4. Öffentlichkeitsarbeit
Die eigene Darstellung zu Hintergrund und Zielen der Herbert Quandt-Stiftung lautet: „Diese fördert in operativer Form den nationalen und internationalen Dialog sowie Wissenschaft, Forschung und Bildung in Deutschland.“
Statt sich mit der Familienvergangenheit und ihren Verstrickungen mit dem NS-Regime auseinander zu setzen, wird Herbert Quandt auf Homepage der Stiftung in der Rubrik „wir über uns“ als eine „der erfolgreichsten und prägendsten Persönlichkeiten des deutschen Unternehmertums“ betitelt. Weiter heißt es: „Das Wirken Herbert Quandts war gekennzeichnet von seinem engagierten Bekenntnis zu freiheitlichem Unternehmertum in einer sozialen Marktwirtschaft. Nach seinem Wunsch sollte der Unternehmer wahrgenommen werden als Mensch, dessen Tun und Handeln sich über den ökonomischen Nutzen hinaus an Verantwortung für die Gemeinschaft ausrichtet.
5. Netzwerke? Politische Kreise?
Familie Quandt gehört zu den größten Parteispendern in Deutschland. Seit 2002 spendete die Familie etwa 1,5 Millionen Euro an deutsche Parteien. Der größte Anteil ging dabei an die CDU, während auch CSU und FDP Spenden erhielten. Betrachtet man die Parteispenden der Konzerne BMW und Altana AG ebenfalls als Spenden der Familie Quandt, so steigt das Spendenvolumen noch einmal erheblich.
Auch wenn die Stiftung in ihrer Selbstdarstellung keine parteipolitische Richtung nennt, so scheint die Tendenz doch offensichtlich, wenn man sich klar macht, dass Frau Klatten gleichzeitig große Summen an CDU, CSU und FDP sowie an die Herbert Quandt-Stiftung spendet. Und als Vorstandvorsitzende des Stiftungsrates hat sie auch großen Einfluss auf die strategischen Ziele der Stiftung und die Einsatzbereiche des Stiftungsvermögens.